Öffentlichkeitsfahndung im Strafrecht

Was ist eine Öffentlichkeitsfahndung?

Die Öffentlichkeitsfahndung ist ein Mittel der Strafverfolgungsbehörden, um unbekannte Tatverdächtige durch die Veröffentlichung von Bildern oder Informationen zu identifizieren. Diese Maßnahme wird meist über Pressemitteilungen, Webseiten der Polizei oder soziale Netzwerke durchgeführt. Besonders bei schwerwiegenden Straftaten wie Raub, Mord oder Terroranschlägen greifen Ermittler auf diese Form der Fahndung zurück.

Doch so effektiv sie auf den ersten Blick erscheinen mag – sie wirft erhebliche rechtliche und ethische Fragen auf. Als Strafverteidiger in Bochum beobachten wir zunehmend, dass dieses Ermittlungsinstrument auch in Fällen eingesetzt wird, bei denen die rechtlichen Voraussetzungen höchst fragwürdig sind.

Gesetzliche Grundlage der Öffentlichkeitsfahndung

§ 131b StPO – Die rechtlichen Voraussetzungen

Die gesetzliche Grundlage für die Öffentlichkeitsfahndung findet sich in § 131b der Strafprozessordnung (StPO). Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn:

  • andere Ermittlungsmaßnahmen erfolglos geblieben sind oder die Ermittlungen erheblich erschwert würden,

  • es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt,

  • und ein Richter die Öffentlichkeitsfahndung ausdrücklich angeordnet hat.

Das bedeutet: Eine Veröffentlichung ist nur das letzte Mittel – nicht der erste Schritt.

Wann liegt eine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ vor?

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Straftat dann erheblich, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung beeinträchtigt. Klassische Beispiele sind:

  • Mord und Totschlag

  • Terroristische Anschläge

  • Schwerer sexueller Missbrauch

  • Bewaffneter Raub

Die Praxis zeigt jedoch, dass Polizeibehörden teils auch bei weniger gravierenden Delikten wie Ladendiebstahl oder Randale bei Fußballspielen zur Öffentlichkeitsfahndung greifen – ein rechtlich höchst bedenklicher Trend.

Verhältnismäßigkeit als rechtliches Leitprinzip

Abwägung zwischen Sicherheit und Persönlichkeitsrecht

Die Veröffentlichung von Bildern kann die betroffene Person nachhaltig stigmatisieren – auch dann, wenn sich später ihre Unschuld herausstellt. Daher ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von zentraler Bedeutung. Die Maßnahme muss:

  • geeignet sein, um zur Aufklärung der Tat beizutragen,

  • erforderlich sein, weil mildere Mittel versagt haben,

  • und angemessen im Hinblick auf die Grundrechte der betroffenen Person sein.

Irreversible Folgen in Zeiten digitaler Medien

Ein besonders kritischer Punkt: Bilder, die im Internet veröffentlicht werden, lassen sich kaum wieder vollständig entfernen. Selbst nach erfolgreicher Identifikation und Beendigung des Verfahrens bleiben die Daten im Netz auffindbar – mit gravierenden Folgen für die soziale und berufliche Zukunft der Betroffenen.

Als Fachanwalt für Strafrecht in Bochum raten wir Mandanten dringend dazu, bei einer unrechtmäßigen Öffentlichkeitsfahndung rechtliche Schritte zu prüfen – etwa durch eine Beschwerde gegen die richterliche Anordnung oder ein Antrag auf Löschung der Bilder.

Uneinheitliche Praxis – Bedarf nach Reform

Unterschiedliche Bewertung durch Gerichte

In der Praxis zeigt sich eine erhebliche Uneinheitlichkeit in der Anwendung des § 131b StPO. Während einige Gerichte sehr hohe Anforderungen an die „erhebliche Bedeutung“ der Tat stellen, geben sich andere mit deutlich weniger zufrieden. Diese Rechtsunsicherheit ist für Betroffene wie auch für Verteidiger problematisch.

Forderungen nach gesetzlicher Klarstellung

Zahlreiche Experten fordern daher einen klaren Deliktskatalog im Gesetz, um mehr Rechtsklarheit zu schaffen. Auch sollte ein verbindliches Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit eingeführt werden, bevor eine Veröffentlichung erfolgt.

Fazit – Öffentlichkeitsfahndung braucht klare Regeln

Die Öffentlichkeitsfahndung kann ein sinnvolles Mittel der Strafverfolgung sein – insbesondere bei schwerwiegenden Delikten, bei denen alle anderen Ermittlungsmaßnahmen ausgeschöpft wurden. Doch sie darf kein Routineinstrument werden.

Ein behutsamer und rechtlich kontrollierter Umgang mit diesem Instrument ist unabdingbar. Strafverteidiger, insbesondere in Großstädten wie Bochum, Dortmund und Essen stehen hier in der Verantwortung, die Rechte der Betroffenen zu wahren und willkürlicher Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Nur wenn Verhältnismäßigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz gewahrt bleiben, kann die Öffentlichkeitsfahndung ihren Platz in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren behalten.

Fachanwalt für Strafrecht in Bochum

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